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Bürgermeisterin Naderer-Jelinek im Interview: „Ich glaube, das wäre dringend überfällig“

Leonding (red). Seit Oktober lädt der „Paschinger Anzeiger“ im Rahmen der Reihe „Rathausgespräche“ Persönlichkeiten der im Gemeinderat vertretenen Parteien in gestürzter Reihenfolge des letzten Wahlergebnisses zum Talk ein. In Teil sechs spricht Bürgermeisterin Sabine Naderer-Jelinek (SP) über aktuelle Herausforderungen, Bevölkerungswachstum und ihre Einschätzung, ob ein Statut für Leonding Sinn machen würde.

Paschinger Anzeiger: Wo sehen Sie, bezogen auf Leonding, die nächsten großen Herausforderungen, welche Themen wollen Sie in nächster Zeit anpacken

Sabine Naderer-Jelinek: Wir eröffnen im Herbst eine neue Kinderbildungs- und Betreuungseinrichtung für 76 Kinder in Untergaumberg und ein Privates Realgymnasium, die Digi-AHS, am Harter Plateau. Bis zu den Eröffnungen liegt noch viel Arbeit vor uns. Die Bauarbeiten in Untergaumberg laufen auf Hochtouren, und bei der AHS sind auch alle Planungen und Vorbereitungsarbeiten auf Schiene. Letztes Jahr haben wir ein umfassendes Mobilitätskonzept für die Stadt beschlossen, das wir nun sukzessive umsetzen. Die größeren Themen für heuer liegen hier in der Verkehrsberuhigung, vor allem in der Doppler Straße, in der Herderstraße/Georg-Erber Straße und Am Südgarten. Für die letzteren beiden ist nach einem viermonatigen Probebetrieb von Durchfahrtssperren eine BürgerInnenbefragung geplant. Und nicht zu vergessen: Die Einhausung der ÖBB-Trasse durch Leonding beim Ausbau der Westbahn. Bei diesem Großprojekt hat unser jahrelanger Einsatz bereits Früchte getragen, denn das Planungsübereinkommen mit dem Bundesministerium und den ÖBB ist unterschrieben. Jetzt geht es an die Detailplanung der Einhausung und der Begleitmaßnahmen.

Leonding hat, was die Bevölkerung betrifft, in den letzten Jahren stark zugelegt, während Steyr geschrumpft ist, der Abstand zur drittgrößten Stadt wird merkbar geringer. Wie stehen Sie zur Thematik Statutarstadt, wäre das ein Modell für Leonding?
Das hört sich so an, als ob Leonding sich das aussuchen könnte. So ist es nicht. Fakt ist: Wir können darum ansuchen, wenn das Land nein sagt, haben wir keine Chance, Statutarstadt zu werden. Viel wichtiger als die Frage Statutarstadt ja oder nein, ist aus meiner Sicht aber auch die Frage, ob weiterhin alle Städte, die kein Statut haben, über einen Kamm geschert werden. Oder ob es nicht doch Sinn machen würde, zwischen Städten wie Leonding mit 31.000 EinwohnerInnen und Gemeinden, wie Rutzenham (die Verantwortlichen dort mögen mir den Vergleich verzeihen), mit gut 300 EinwohnerInnen bei den Kompetenzen und den finanziellen Möglichkeiten zu unterscheiden? Ich glaube, das wäre dringend überfällig!

In Wilhering wurde zuletzt im Vorwahlkampf eine Bevölkerungsobergrenze thematisiert. Sehen Sie für Leonding eine gewisse Benchmark, die in einem gewissen Zeitraum nicht überschritten werden sollte?
Wichtig scheint mir, dass die Balance zwischen Lebensqualität und Entwicklung beibehalten werden muss – das macht Leonding aus. Wie überall ist das natürlich ein Spagat. In Leonding hat die SPÖ immer die Linie vertreten, dass wir in den nächsten Jahrzehnten noch auf etwa 38.000 EinwohnerInnen anwachsen werden. Das ist einerseits angesichts der vorhandenen Baulandreserven realistisch und andererseits auch aus der Perspektive der Stadtplanung sinnvoll (Stichwort Entwicklung beim Uno bzw. entlang der Straßenbahn oder im Zentrum Leondings).

Im Leondinger Gemeinderat sind derzeit sechs Fraktionen vertreten. Wie würden Sie die Zusammenarbeit zwischen den Parteien in der Stadt bewerten?
In Leonding hat die Zusammenarbeit der Fraktionen immer sehr gut funktioniert. Ich denke, ich kann jedenfalls für die größeren Fraktionen sprechen, wenn ich sage, dass es jedem von uns um die Menschen in der Stadt geht. Es liegt in der Natur der Sache, dass jede Fraktion „ihre“ Themen hat, aber vor allem bei den großen Projekten ziehen wir an einem Strang. Ein Großteil der Beschlüsse im Stadt- und Gemeinderat wird einstimmig gefasst. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass wir sehr konstruktiv zusammenarbeiten.

Sie haben in Oberösterreichs viertgrößter Stadt bei bislang allen Wahlen, denen Sie sich gestellt haben, außerordentliche Ergebnisse erzielt. Würde Sie mittel- bzw. langfristig die Landes- bzw. Bundesebene grundsätzlich reizen?
Nein. Ich liebe es, Bürgermeisterin zu sein und kann mir keinen schöneren Beruf vorstellen. Als Bürgermeisterin bin ich ganz nah an den Menschen und erfahre direkt, was sie bewegt und wie es ihnen in der Stadt geht und kann unmittelbar positiv auf die Gestaltung der Stadt einwirken. Auf Landes- und Bundesebene wird der direkte Kontakt zur Bevölkerung immer weniger und auch das Umsetzen immer schwieriger, deshalb nein.

Die Sozialdemokratie hat zuletzt im gesamten Bezirk, vor allem aber hier im Norden, viele Bürgermeistersessel einbüßen müssen, während die SPÖ Leonding bei den jüngsten Wahlen in lichte Höhen vorzudringen vermochte. Kann Ihre Ortspartei hier unterstützend wirken, bzw. ist die Bestellung des Leondingers Tobias Höglinger zum Bezirksvorsitzenden bereits ein erster Schritt solcher Bemühungen?
Da spielt sicher mehr mit. In Leonding hat der Übergang von meinem Vorgänger Walter Brunner zu mir sehr gut funktioniert. Schon mit ihm gemeinsam wurde ein Team geformt, bei dem die Kompetenzen im Vordergrund standen und weniger die Zugehörigkeit zur Partei, das Geschlecht oder sonst was. Den Weg, den er eingeschlagen hat, haben wir fortgesetzt und konnten so viele Neue gewinnen. Die Zeiten, in denen jahrelanges Plakatieren Voraussetzung für eine Funktion war, sind vorbei – wenn auch plakatieren nach wie vor wichtig ist. Dass sich dieses Modell durchsetzt, sieht man ja auch in Wilhering. Christina Mühlböck-Oppolzer wird eine super Bürgermeisterin sein, und ich freue mich auf die Zusammenarbeit – ich hoffe die WilheringerInnen sehen das so wie ich. Aufgrund unserer positiven Erfahrungen in unserer Stadt haben wir uns natürlich auch für die Nachfolge in der Bezirkspartei dafür eingesetzt, dass es zunächst einmal ein Anforderungsprofil für eine künftige Führung gibt und dann einen Prozess, wie man zu geeigneten KandidatInnen kommt und unter diesen die- oder denjenigen aussucht, der dem Profil am ehesten entspricht. In diesem Fall war das Tobias Höglinger, und ich denke, dass er seine Sache sehr gut macht und den Bezirk nicht nur verwaltet, sondern versucht, ihn aktiv zu gestalten. Die Erfahrungen, die er ja auch selbst in Leonding gemacht hat, werden da und dort sicher auch eine Rolle dabei spielen.

Leonding hat innerhalb der KEM Kürnbergwald eine Führungsrolle inne. Welche Akzente will die Stadt in den nächsten Jahren im Bereich Nachhaltigkeit setzen?
Die Schwerpunkte der KEM-Region liegen in den nächsten Jahren bei den Themen Nachhaltige Mobilität im suburbanen und ländlichen Raum, Wärme und Strom aus erneuerbaren Energien und Steigerung der Energieeffizienz, Kreislaufwirtschaft und nachhaltigem Konsum sowie Energie- und Klimamanagement in den Kommunen. Großes Augenmerk wird dabei auf das Bewusstmachen in der Bevölkerung gelegt. Wir starten hier schon bei den Kleinsten, die bereits in den Kinderbildungs- und Betreuungseinrichtungen mit dem Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz auf spielerische Weise in Berührung kommen. Nicht nur in der KEM-Region, auch als Stadt selbst sind wir wichtige Schritte gegangen und setzen diesen Kurs auch weiterhin fort. Beispielsweise haben wir Photovoltaikanlagen auf öffentlichen Gebäuden errichtet, die Straßenbeleuchtung auf stromsparende LED-Leuchten umgestellt, einen Mobilitätsknoten mit E-Autos errichtet und das erste E-Müllauto in Oberösterreich angeschafft. Gerade beim Thema Verkehr zielen unsere Maßnahmen vor allem darauf ab, den Radverkehr zu stärken, das Öffi-Angebot auszubauen und den Individualverkehr zu beruhigen. Ein konkretes Beispiel dafür sind zwei geplante neue Stadtteilbuslinien.

Leonding ist die größte Stadt Oberösterreichs, die nicht von einem Mann geführt wird. Trotz allem beträgt der Frauenanteil in der Stadtratsriege nur 33 Prozent, im Gemeinderat selbst ist dieser höher. In einer Nachbargemeinde konnte eine Jung-Mutter nicht Gemeindevorständin werden, da sie aufgrund des Zuverdienstes ihren Kündigungsschutz in der Karenz verloren hätte. Was ist Ihrer Ansicht nach nötig, um mehr Frauen in politische Führungsfunktionen zu bekommen?
Kinderbetreuung und der Rückhalt in der Familie sind wichtig, um – nicht nur in der Politik – eine Führungsfunktion übernehmen zu können. Ich habe zum Beispiel das große Glück, dass mein Mann und meine Eltern meine Entscheidung, Bürgermeisterin zu werden, immer unterstützt haben. Ich weiß, dass meine Tochter bestens versorgt ist, auch wenn ich in der Arbeit oder bei Terminen bin. Diesen Rückhalt hat sicher nicht jede Frau. Zudem wird der Ton, der gegenüber PolitikerInnen angeschlagen wird, immer rauer und auch das Anspruchsdenken: Wenn man ein Problem nicht gleich lösen kann, geht man mal zur Bürgermeisterin, die soll sich darum kümmern – zuständig oder nicht. Und wenn sie es nicht lösen kann, geht man an die Medien oder lässt sich (gerne auch anonym) in den sozialen Netzwerken über die Person aus. Hier bräuchte es sicher eine klarere Rechtsprechung, um dagegen vorgehen zu können. Und schließlich braucht es auch positive Beispiele, die zeigen, dass es gehen kann. Ich lade immer wieder junge Mädchen und Frauen ein, um mir über die Schulter zu schauen. Und auch in meiner Fraktion ist es mir wichtig, dass wir ein ausgewogenes Verhältnis zwischen aktiven Männern und Frauen haben. Wir stellen 16 GemeinderätInnen, davon sind sieben Frauen, also fast die Hälfte.

Foto: Stadt Leonding

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